Ein Rollstuhlabenteuer: Urlaub im Wohnmobil und Tiny House

Hennes Lübbering ist seit über 50 Jahren im Rollstuhl mobil und damit ein Profi auf seinem Gebiet. Trotzdem gab es für ihn in diesem Jahr eine Premiere. Zum ersten Mal begab der Senior-Tetraplegiker sich auf einen „Abenteuer“-Urlaub im rollstuhlrechten Wohnmobil und auf ein Tiny House Areal. Mit dabei Assistent Fredi.

Lübbering erzählt von seinem Trip ins Abenteuer und sein neues Interesse an kleinen Häuser auf Rädern:

Aufbruch ins Unbekannt

Hennes und Fredi

Im Juli 2024 starteten Assistent Fredi, mein treuer Rollstuhl, mein Handbike und ich in unser gemeinsames Abenteuer im rollstuhlfreundlichen Wohnmobil. Das Wohnmobil, liebevoll „Willy“ genannt, wird speziell für Menschen mit Behinderungen angeboten. Mit einem Rollstuhllift und breiten Türen ist der Einstieg problemlos möglich. Im Innenraum muss man aber den einen oder anderen Kompromiss eingehen. Selbst fahren ist für Rollstuhlfahrer nicht möglich und auch der Transfer auf den Beifahrersitz ist wegen einer Stufe für mich sehr schwer zu meistern. Gemietet haben wir Willy hier (externer Link).

Die erste Herausforderung

Nach der Fahrzeugabholung in Augsburg, machten wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Ziel: einem Tiny House Areal mit Inklusionsgedanken.

Ankunft im Tiny House Paradies

Das Tiny House Areal ist ein Paradies! Zwei kleine Häuschen stehen inmitten einem grünen Areal. Jedes Tiny Haus ist ein Unikat. Hier tragen sie die Namen „Wilhelm“ und „Silke“ und beide stehen auf einem Fahrwerk, falls man mal mit ihnen umziehen möchte.

Mein Assistent Fredi ist Mitgründer des Modelprojektes und erklärt, dass es üblich ist, dass die Tiny Houses Namen haben. Deshalb hat er auch gleich unserem Wohnmobil einen gegeben. Da das für diese Areal geplante rollstuhlfreundliche Tiny House noch im Status „Bauantrag“ verharrt, hatte ich mich für das Wohnmobilabendteuer entschieden, was ich schon immer mal ausprobieren wollte. So war ich mobil unterwegs und konnte gleichzeitig das Tiny House Areal testen – und das bevor es offiziell für Rollstuhlfahrer hergerichtet ist.

Ankommen im Gemeinschaftsprojekt

Die erste Nacht im Wohnmobil ist vorbei und ich bin doch sehr verblüfft, dass ich tief und fest geschlafen hatte, während mein Assistent die Nacht bei „Silke“ nebenan in Rufbereitschaft verbracht hatte. Es war ein schönes Erwachen in dieser Naturidylle. Im Gemeinschaftsgebäude werde ich herzlich von Miriam zum gemeinsamen Frühstück empfangen. Miriam ist die Partnerin von Fredi und ich muss sagen, da hat er wirklich Glück gehabt!

Die Projektverantwortlichen im Tiny House Areal haben eine aufreibende Gründungsphase hinter sich, die wohl auch noch andauert, bis weitere Bewohner gefunden sind. Bis zu sieben Menschen können auf dem Areal wohnen. Gemilie nennen sie das Projekt: Gemeinschaft und Familie.

Da Fredi Vollzeit als freiberufliche Pflegekraft arbeitet und Miriam als Musiktherapeutin mit unterstützt, traut man sich hier zu, einen Platz für Menschen mit Assistenzbedarf anzubieten. Wenn ich Miriam und Fredi zusammen sehe, bekomme ich doch gleich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn für drei Wochen engagiert habe. Aber immerhin: Eine Woche verbringe ich jetzt mit ihm in seinem Zuhause, auch wenn wir natürlich tagsüber auf Achse sein werden.

Den Leistungssport habe ich ja schon vor ein paar Jahren hinter mir gelassen, aber Freizeitradeln mit dem Vorspannrad ist mein großes Hobby. Wir fahren ins benachbarte Treuchtlingen. Die zehn Kilometer den Berg runter laufen super. Aber rauf will ich dann doch nicht mehr fahren. Ich warte also in einem sehr gemütlichen Café und unterhalte mich mit netten Menschen, bis Fredi mich mit dem Wohnmobil abholen kommt.  

Entspannung und Altmühlsee

Der Altmühlsee.

Am dritten Tag genießen wir beim Frühstück die Sonne auf der Gemeinschaftsterrasse. Alle Mitbewohner sind mir gegenüber – dem alten Mann im Rollstuhl – sehr aufgeschlossen und wir haben tolle Gespräche. Ich erfahre, wie wichtig es in Gemeinschaft ist, dass man die Dinge offen anspricht, die einem wichtig sind. Davon bin ich sehr angetan. Über alles reden zu können und lösungsorientiert zu denken, zu versuchen Toleranz und Verständnis füreinander aufzubringen – das täte in der heutigen Gesellschaft vielen gut.

Später machen wir eine Tour um den Altmühlsee. Da ist alles recht flach und die Straßen sind asphaltiert, was ein entspanntes Fahren ermöglicht. Landschaftlich ist es unheimlich schön hier. Ich bin begeistert von der Streckenführung rund um den See mit gleich mehreren Einkehrmöglichkeiten! „Barrierefrei unterwegs“ stellt Infos zu einer rollstuhlgerechten Tour zur Verfügung: Rundwanderweg auf der Vogelinsel im Altmühlsee – Barrierefrei unterwegs – Reisen im Rollstuhl (externer Link).

Planung eines rollstuhlgerechten Tiny-Modulhauses

Heute wagen wir eine Rundfahrt um den nächsten größeren See – dem Brombachsee (auch hier bietet „Barrierefrei unterwegs“ tolle Infos: Handbike-Tour um den Kleinen Brombachsee – Barrierefrei unterwegs – Reisen im Rollstuhl (externer Link)). Die Rundfahrt ist atemberaubend und ich genieße die frische Luft und die malerische Landschaft. Doch der wahre Nervenkitzel kommt, als wir gerade eine Minute vor einem Platzregen wieder im Wohnmobil ankommen. Fredi und ich lachen herzlich über unser Timing – was für ein Abendteuer!

Der Brombachsee

Zuhause angekommen, sprechen wir über das rollstuhlfreundliche Modul für das Tiny House Areal. Ein kurzer Blick und ich kann doch noch ein paar wertvolle Tipps für die Innenraumaufteilung geben. Sinnvoll finde ich es z. B. das Schlafzimmer direkt neben dem Bad zu planen und den Deckenlifter gleich mit einzuplanen. Diesen werden zwar nicht alle Menschen mit Querschnittlähmung brauchen, aber für mich wäre er ein großer Vorteil, da die Transfers nicht mehr so leicht zu machen sind wie früher. Ansonsten gefällt mir der Grundriss – 40 qm² Grundfläche mit Wintergarten – sehr gut, und das Projekt überzeugt, wenn der Weg ins Gemeinschaftshaus wirklich rollstuhlgerecht ist. Und ich bin überzeugt genug, um Gründungsmitglied zu werden – als Mitbewohner und Ideengeber für rollstuhlgerechte Möglichkeiten im Tiny House und im Areal. Zu weiteren Infos zu dem Projekt geht es hier: home – Tiny Eco Village (externer Link).

Unser Urlaub in Wohnmobil

Unser Assistenzurlaub im rollstuhlfreundlichen Wohnmobil und auf dem Tiny House Areal war ein unvergessliches Erlebnis und ich bin froh, dass ich mich auf das Abenteuer eingelassen habe. Ich muss aber sagen – meine Selbstständigkeit war durch den Platzmangel schon eingeschränkt. Natürlich brauche ich auch zuhause Hilfe in vielen Situationen, im Wohnmobil wurde mir das aber nochmal besonders bewusst.

Hennes Lübbering

Für Paras und fitte Tetras ist so ein Wohnmobil aber bestimmt eine tolle Option. Für mich notwendig waren: die richtigen Planung, die passenden Hilfsmitteln und natürlich Fredi – nicht nur wegen seines Insiderwissens und seiner Hingabe an seinen Beruf als Assistent.

Über den Autoren

Hennes Lübbering ist seit einem Badeunfall 1968 querschnittgelähmt. Anfang der 70er Jahre entdeckte er den Leistungssport für sich und feierte olympische Erfolge (siehe auch: Die Geschichte der Paralympics: Zeitzeugen berichten). Trotz hoher Querschnittlähmung führt Lübbering ein größtenteils unabhängiges Leben – mit zunehmendem Alter wurde es für ihn notwendig auf Hilfsmittel zurückzugreifen, um diese Unabhängigkeit so gut wie möglich zu erhalten. Siehe hierzu: „Von der Bravo zur Apothekenumschau“ – Hennes Lübbering über das Altern mit Querschnittlähmung“.


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