Gewalt gegen Rollstuhlfahrer: So kann man sich wehren
Als Mensch mit Querschnittlähmung ist man für potenzielle Angreifer ein vermeintlich leichtes Ziel. Doch es gibt Strategien und Möglichkeiten, wie man sich als Rollstuhlfahrer nicht schutzlos fühlen muss.

Wer ein mulmiges Gefühl hat, wenn er oder sie als Rollstuhlfahrer alleine in dunklen Gassen unterwegs ist, könnte überlegen zu folgenden Maßnahmen und Hilfsmitteln zu greifen, um sich weniger angreifbar und verletzlich zu fühlen und/oder um sich einer Gefahrensituation erfolgreich zu entziehen.
Das Heimwegtelefon
Das Heimwegtelefon ist ein ehrenamtlich betriebener Service bei dem Menschen, die nachts alleine unterwegs sind, anrufen können, um während des Heimwegs telefonische Gesellschaft zu haben. Der Anrufer gibt Standort und Ziel durch und wird dann von ehrenamtlichen Helfern am Telefon bis nach Hause begleitet. Dabei geht es in erster Linie darum, Sicherheit zu schenken. „Durch ein nettes Gespräch haben die Anrufenden das Gefühl, nicht alleine nach Hause zu gehen. Dadurch fühlen sie sich nicht nur wohler, sondern strahlen auch eine größere Sicherheit aus. Das kann im besten Fall zu einer Vermeidung von Überfällen beitragen, weil der Anrufer oder die Anruferin aus der typischen Opferrolle herauskommt“, so Heimwegtelefon.de.
Kommt es dennoch tatsächlich zu einem Übergriff, kann der Gesprächspartner am Telefon umgehend handeln und die Polizei informieren.
Für mehr Informationen siehe: Heimwegtelefon e.V. (externer Link)
Der persönliche Alarm (Alarm-Ei)
Um Hilfe zu rufen, wenn man angegriffen wird, ist immer eine gute Idee. Was aber, wenn man nicht gehört wird oder wenn niemand reagiert?
Ein persönlicher Alarm, auch Alarm-Ei oder genannt, ist ein Gerät, das klein genug ist, um es unauffällig mitzuführen, z. B. als Schlüsselanhänger oder irgendwo an der Kleidung. Es wird aktiviert, indem ein Stift aus dem Gadget gezogen oder ein Knopf gedrückt wird, Dann geben sie ein sehr lautes, schrilles Geräusch ab und erregen die Aufmerksamkeit aller Personen in einem großen Umkreis. Sie sind so laut, dass Angreifer im Idealfall von ihrem Opfer ablassen, sobald er aktiviert ist. Der Gerät lässt sich nur schwer beseitigen, wenn es fest an z. B. der Kleidung des Angegriffenen befestig ist, und der durchdringende Alarmton lässt sich nicht abstellen, wodurch er meist deutlich effektiver als ein Hilferuf ist, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit von Menschen im Umfeld auf die Gefahrensituation zu lenken.
Gegenüber Pfefferspray und anderen Waffen, hat das Alarm-Ei einen entscheidenden Vorteil. Es kann vom Angreifer nicht entwendet und gegen das Opfer eingesetzt werden, und man kann sich auch nicht versehentlich selbst verletzen, wenn man mit der Handhabung nicht ausreichend vertraut ist.
Ein Extra-Bonus: Wenn man anderweitig Unterstützung braucht, z. B. nach einem Sturz aus dem Rollstuhl, kann man mit dem Alarm-Ei ebenfalls Hilfe herbeirufen.
Flüchten
Wenn man angegriffen wird, sollte man, sobald sich die Chance bietet, versuchen sich der Situation zu entziehen. D. h. im Ernstfall ist für alle, auch für Rollstuhlfahrer, die Flucht meist die bessere Wahl im Vergleich zum Kampf.
Dies gilt auch für besonders fitte Rollstuhlfahrer mit mächtig trainierten Oberarmen. Man nutzt diese Kraft am sinnvollsten, indem man sich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone rollt. Nutzer von Elektrorollstühlen tun dies mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, die ihr Gefährt hergibt. Ein Angreifer zu Fuß ist evtl. schneller aber hoffentlich weniger ausdauernd als der E-Rolli.
Mit dem arbeiten, was man hat
Wenn weder Flucht noch Abschreckung Erfolg haben, können Rollstuhlfahrer u. U. zur Gegenwehr übergehen. Dabei können und müssen sie alles einsetzen, was ihnen zur Verfügung steht.
Dabei kann man z. B. den Rollstuhl als Waffe einsetzen, indem man dem Angreifer die Fußstützen an die Schienbeine oder evtl. vorhandene Schiebegriffe in Bauch und Leistengegen rammt.
Wer über ausreichend Kraft und Mobilität in den Armen verfügt, kann die Ellbogen einsetzen. Der Ellenbogen ist der stärkste Knochen des Körpers und man kann solide Schläge damit austeilen. Angriffsbewegungen gehen dabei zum Kinn, zur Seite des Gesichts/zur Kinnlinie, zum Solarplexus oder zur Leistengegend. Diese Schlagfolge kann überraschend effektiv sein, vor allem wenn der Angreifer von hinten kommt und nicht mit Gegenwehr rechnet. Sie sollte bestenfalls in einem speziellen Kurs geübt werden (siehe nächster Punkt).
Einen Selbstverteidigungskurs absolvieren
Oft fällt es schwer, im Überraschungsmoment einem Angreifer selbstsicher entgegenzutreten. Wer solche Situationen jedoch übt und Kampftechniken einstudiert, kann entschlossen gegenhalten, was viele Angreifer von Menschen mit Behinderung nicht erwarten.
Informationen zu Kursmöglichkeiten gibt es beim Deutschen Rollstuhl-Sportverband (DRS). Siehe: Kampfkünste | drs.org (externer Link)
Ronja Holze über Selbstverteidigung im Rollstuhl
Körperliche Übergriffe und Gewalt erleben Frauen mit Behinderung fast doppelt so häufig wie Frauen ohne Behinderung. Ronja Holze ist Rollstuhlsportlerin und absolviert seit längerem einen inklusiven Selbstverteidigungskurs.
Die deutsche Meisterin im Rollstuhlskaten war bereits in Situationen, in denen sie sich verteidigen musste: Abends auf dem Nachhauseweg versuchte ein Mann sie sexuell zu belästigen – und Ronja konnte ihn erfolgreich abwehren. In folgendem Video spricht sie über ihre Erfahrungen und zeigt Verteidigungstechniken, die Menschen im Rollstuhl einsetzen können.
Siehe auch:
Speziell für Frauen im Rollstuhl: Die eigene Stärke entdecken
Hilfe für behinderte Mädchen und Frauen
Gewalt gegen Frauen mit Behinderung
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