Pflegegutachten: So bereitet man sich auf den Gutachter-Besuch vor

Wer – zum Beispiel aufgrund einer Querschnittlähmung – zum ersten Mal einen Pflegegrad beantragt oder wessen Pflegegrad überprüft werden soll, wird vermutlich Besuch von einem Gutachter bekommen. Damit Bedarf und Pflegegrad korrekt und zufriedenstellend festgelegt werden, empfiehlt es sich, sich auf diesen Besuch gut vorzubereiten.

Wer sich gründlich auf den Gutachter-Besuch vorbereitet, tut sich selbst einen Gefallen. Und den Gutachter freut´s ebenfalls

Pflegebedürftigkeit, Pflegegrad und Pflegeaufwand werden meist im persönlichen Gespräch ermittelt – zu Hause, in der Klinik, oder telefonisch. Beim Termin betrachtet der Gutachter sechs Module im Leben des Antragsstellers (z.B. Mobilität, Fähigkeit zur Selbstversorgung, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte), die zu festgelegten Prozentwerten gewichtet werden und in das Gutachten einfließen (siehe Beitrag Pflegegrade: Ein Überblick – Der-Querschnitt.de).

Da von der Festlegung des Pflegegrades die Höhe des Pflegegeldes und die Ausstattung mit Pflegehilfsmittel abhängt, ist das Pflegegutachten sehr wichtig (auch wenn es nur eine „Empfehlung“ ist. Die letzte Entscheidung liegt bei der Pflegekasse).

Es scheint also ratsam, sich gut auf das Gespräch vorzubereiten. Dabei sollten einige Punkte beachtet werden:

1. Alle Papiere und Unterlagen parat?

Die Verbraucherzentrale hat eine Liste der Dokumente und Unterlage zusammengestellt, die man beim Gutachterbesuch griffbereit haben sollte:

  • aktuelle Berichte von Ärzten und Fachärzten
  • aktuelle Entlassungsberichte vom Krankenhaus oder der Reha-Einrichtung
  • Medikamentenplan
  • Schwerbehindertenausweis (wenn vorhanden)
  • Liste der genutzten Hilfsmittel (Brille, Hörgerät, Gehstock, Rollator, Vorlagen, …)
  • Pflegedokumentation (falls sich bereits ein ambulanter Pflegedienst um den Antragsteller kümmert)
  • eigene Notizen über den Verlauf der Pflege und Schwierigkeiten

2. Im Vorfeld Pflegetagebuch als „Gedächtnisstütze“ führen

Wer ein Pflegetagebuch führt, kann sich leichter darüber klar werden, welche Unterstützung und Pflege er braucht – und dies auch dokumentieren.

Mit seiner Hilfe kann man sich bereits im Vorfeld des Gutachter-Termins über einige Fragen klar werden, zum Beispiel:

  • Wie selbstständig kann ich meinen Alltag bewältigen?
  • Was kann ich allein – wofür brauche ich Unterstützung?
  • Wie häufig und wie lange benötige ich Unterstützung durch andere Personen?

Der persönliche Zeitaufwand lässt sich über das Pflegetagebuch dokumentieren. Die wichtigsten Pflegeroutinen sind häufig bereits aufgeführt. Eigene Zeitwerte für Pflegeroutinen am Morgen, Mittag, Abend und in der Nacht sowie Anmerkungen können notiert werden. Die Dokumentation über einen längeren Zeitraum hat zudem den Vorteil, dass zeitfressende Vorkommnisse, die nicht alltäglich sind, nicht vergessen werden, zum Beispiel die Spastik, die den Alltag erschwert und Körperhygiene und Ankleiden in die Länge zieht. Solche Erschwernisse müssen zur Sprache kommen, auch wenn sie intim sind.

Im Netz gibt es einige Vorlagen für Pflegetagebücher. Ganz aktuell ist eine Neuauflage des Pflegetagebuchs des Sozialverband Deutschland (SoVD) aus dem Jahr 2024, das kostenlos gedownloaded werden kann: Das neue Pflegetagebuch (sovd.de).  Auch der Sozialverband VdK bietet eine eigene Vorlage an: Pflegetagebuch_per PC.pdf. Manche Medizinischen Dienste stellen zur Vorbereitung auf den Gutachter-Termin Fragenbögen zur Verfügung, zum Beispiel der MD Westfalen-Lippe: ErwachsenenFragebogen_final_19.07.2023.pdf (md-wl.de).

Das Führen des Pflegetagebuches als „Gedächtnisstütze“ kann zudem den Blick auf die eigene Situation schärfen: Was muss getan werden, um die Pflege zu erleichtern? Sind die verwendeten Hilfsmittel angemessen? Könnten bauliche Veränderungen zu mehr Selbstständigkeit führen? Je mehr Betroffene über diese Aspekte wissen, zum Beispiel über neue Hilfsmittel, desto eher können sie Vorschlägen eines Gutachters begegnen oder selbst begründete Veränderungen anregen.

Übrigens: Die Eintragungen in einem Pflegetagebuch stellen keinen amtlichen Nachweis dar, sie sind eher Orientierungshilfen bei der Entscheidung. Und: Sie müssen glaubwürdig sein. Siehe nächster Punkt:

3. Authentisch sein

Natürlich wird man sich im Vorfeld Gedanken darüber machen müssen, wo die eigenen Defizite und Beeinträchtigungen liegen und wo man deshalb künftig pflegerische Unterstützung braucht. Auch wenn es schwerfällt: Die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen sollten realistisch eingeschätzt werden. Sowohl in der Vorbereitung als auch im Gutachter-Gespräch.

Wer sich selbst überschätzt und seine Pflegebedürftigkeit geringer darstellt, als sie in der ungeschönten Realität ist, läuft Gefahr, einen zu niedrigen Pflegegrad zu bekommen.

Andererseits raten Experten jedoch vehement davon ab, „zu schauspielern, um die Situation schlechter darzustellen als sie tatsächlich ist.“ Denn Gutachter und Gutachterinnen „sind erfahren in der Prüfungssituation und stellen dies schnell fest. Bleiben Sie glaubwürdig und zeigen den tatsächlichen Zustand des Pflegebedürftigen“, rät zum Beispiel die Verbraucherzentrale.

4. Unterstützung holen

Bei der Pflegebegutachtung gibt es keine Überraschungsbesuche. Gutachter und Gutachterinnen kommen ausschließlich nach vorheriger Terminvereinbarung in die Wohnung oder die Pflegeeinrichtung, beziehungsweise vereinbaren vorab einen Termin für ein Telefoninterview oder Videotelefonie. Was auch bedeutet: Wer den Gesprächstermin nicht allein absolvieren will, kann einen Angehörigen oder eine vertraute Pflegeperson bitten, dabei zu sein. Dazu rät auch das Bundesgesundheitsministerium: Bei Gutachter-Termin sollten „idealerweise auch die Angehörigen oder Betreuerinnen und Betreuer des zu untersuchenden Menschen, die diesen unterstützen, anwesend sein. Das Gespräch mit ihnen ergänzt das Bild der Gutachterin oder des Gutachters davon, wie selbstständig die Antragstellerin oder der Antragsteller noch ist.“  Denn die Unterstützung durch einen Angehörigen oder eine vertraute Pflegeperson gibt nicht nur Kraft und Sicherheit – wer den Antragsteller kennt, kann vielleicht zusätzliche wichtige Aspekte ansprechen, die der Betroffene selbst in der Aufregung vielleicht vergessen würde.


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Ob und in welchem Umfang private Krankenkassen die Kosten für Hilfsmittel, Therapien o.ä. übernehmen, ist individuell in der jeweiligen Police geregelt. Allgemeingültige Aussagen können daher nicht getroffen werden.