Leben mit Querschnittlähmung: Fliegen im umgebauten Segelflugzeug
Das Fliegen in Leichtbaufluggeräten ist eines der letzten großen Abenteuer, die man in Mitteleuropa erleben kann (wenn man von einer Reise mit der Deutschen Bahn einmal absieht…). Rollstuhlfahrer Bernhard Kähny hat es ausprobiert.

Im Sommer 2023 wagte Paraplegiker Bernhard Kähny (siehe auch: Leben mit Querschnittlähmung: Bewegungstraining für mehr Lebensqualität) das Abenteuer Segelfliegen. Er suchte nach einer umweltfreundlichen Alternative zu motorbetriebenen Kleinflugzeugen und fand online den Flugsportring Kraichgau bei Sinsheim. Hier brauchen Menschen mit Querschnittlähmung beim Ein- und Aussteigen zwar Hilfe, da es keinen barrierefreien Zugang zur Kanzel gibt, aber „… die Leute vom Flugsportring sind gut im Training. Es wird in aller Ruhe gemeinsam daran gearbeitet, wie es gehen kann“, so Kähny. „Sie wissen, dass unterschiedliche Bedürfnisse entsprechende Maßnahmen erfordern, um den Flug sicher und erfreulich zu gestalten.“ Das Fliegen kann vollständig unabhängig stattfinden, vom Start bis zur Landung, wenn man dies denn möchte.
„Der Himmel kennt keine Barrieren.“
„Seit 2012 bietet der Flugsportring Kraichgau mit seinem „Rolliflieger“ (aktuelle Maschine: D-9721) das Segelfliegen als Sport für Menschen mit z. B. Querschnittlähmung an“, so Kähny. „Die Maschine ist unter anderem kunstflugtauglich. So weit wollte ich bei meinem ersten Flug allerdings nicht gehen. Der Start war schon toll. Eine stationäre Seilwinde zog uns in drei Sekunden auf eine Geschwindigkeit von 100 km/h. Der Pilot orientierte sich auch am Flug der Greifvögel und steuerte die Maschine dann leicht auf 1000 m, mit der Thermik immer weiter rauf in den Himmel.“
„Es ist faszinierend die Welt von oben zu betrachten. Ich hielt Ausschau nach Wildtieren – weil gerade Maisernte war – und nach einer Gruppe von Handbikern, von denen ich wusste, dass sie unterwegs waren. Aber ich sah keine Rehe, keine Wildschweine, keine Handbiker. Nur Gegend, Gegend, Gegend. Aber die war wunderschön und von so weit oben aus der Stille betrachtet traumhaft schön. Als wir dann mit 200 Sachen wieder in Richtung Landebahn gesaust sind, war Schluss mit gemütlich. Aber ein geniales Brausen um die Ohren, vom Fahrtwind in der Kanzel. Die Geschwindigkeit hat mich schlagartig hellwach werden lassen! Als wir mit ca. 100 km/h aufsetzten, hoffte ich von Herzen, dass die Landebahn reichen würde. Und es reichte gut… “, schmunzelt Kähny.
Segelfliegen
Segelfliegen kann man mit motorlosen Flugzeugen wie Segelflugzeugen, Motorseglern und Gleitflugzeugen. Dabei werden Aufwinde genutzt, die Höhe und Reichweite bestimmen. In die Luft kommt man via Windenstart, Flugzeug- oder Autoschlepp. Die Umbauten für Menschen mit Querschnittlähmung können an gängigen Modellen meist leicht vorgenommen werden und sind auch schnell wieder abnehmbar, sodass Piloten mit und ohne Behinderung sich das Fluggerät teilen können: Das Seitenruder lässt sich z. B. über eine zusätzlichen Hebel bedienen und die Bremsvorrichtungen sind entsprechend angepasst.
„Wer selber fliegen möchte, muss aber bedenken, dass eine ausreichende Handfunktion und Kraft in der Hand gegeben sein muss. Der Steuerknüppel selbst ist gar nicht so schwer zu bedienen, aber für die Hecklenkung muss man sich schon ein bisschen anstrengen.“


Menschen mit Querschnittlähmung, die das Segelfliegen einmal ausprobieren möchte, rät Kähny: „Einfach machen.“ Dazu braucht es Vertrauen in die Fähigkeiten der Verantwortlichen und in die Technik. Die Festigkeit eines Segelflugzeugs sei wesentlich höher als die einer modernen Verkehrsmaschine, so Kähny. Hinzu käme die Erkenntnis, dass Mut ein Eckpfeiler der Freiheit sei.
Obwohl ein eigener Flugschein nicht auf seiner To-Do-Liste steht, wird Kähny in Zukunft durchaus mal wieder in die Luft gehen. Er plant einen „Langstreckenflug“ von der Steinsburg in Sinsheim Weiler zur Ravensburg nach Sulzfeld und zurück. Er resümiert: „Das Fliegen hat mich auf jeden Fall gepackt. Vor allem, wenn es so umweltfreundlich von statten gehen kann. Ich fühlte mich so beschenkt und glücklich nach dem ersten Flug. Fast als wäre man ein bisschen beschwipst. Nur dass es eben die G-Kräfte sind und der Lärm beim Sinkflug.“


Siehe auch: Fliegen und Flugschulen für Rollstuhlfahrer und Drachen- und Gleitschirmfliegen – Adrenalinkick für Rollstuhlfahrer
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