Stoma bei Querschnittlähmung: In der Entscheidungsphase reden, reden, reden – und Probetragen
Wenn Störungen der Darmfunktion und/oder das Darmmanagement zu einer Belastung werden, die kaum mehr zu bewältigenden ist, und alle anderen Therapieversuche nicht anschlagen, kann ein künstlicher Darmausgang eine Option sein. Aus ein Stoma sollte man sich mental, medizinisch und im Hinblick auf den Alltag mit Stoma gut vorbereiten. Unter anderem raten Experten gerade Rollstuhlfahrern dazu, die richtige Position des Stomas zunächst im Trockenversuch zu testen.

Bei Störungen der Darmfunktion steht ein Stoma auf der Skala möglicher Maßnahmen nicht ganz weit oben. Es findet sich eher am Ende der Liste. Erst wenn konservative Maßnahmen (Ernährungsumstellung, konsequentes Darmmanagement) Stuhlinkontinenz und/oder Verstopfung nicht lindern können und auch eine medikamentöse Behandlung nicht fruchtet, rücken operative Maßnahmen in den Fokus. Eine davon könnte das Stoma sein.
Nicht unumstritten
Es ist umstritten. An der Frage „Stoma ja oder nein?“ scheiden sich die Geister. Die einen fürchten den künstlichen Darmausgang als massive Einschränkung ihrer Lebensqualität. Für andere bedeutet er eine enorme Steigerung eben dieser Lebensqualität. (Siehe auch Beitrag Leben mit Querschnittlähmung: „Für mich als Tetraplegiker war das Stoma die beste Entscheidung meines Lebens“.)
Der Weg zur Entscheidung sollte von vielen Gesprächen mit Fachpersonen, aber auch mit Angehörigen oder nahestehenden Personen flankiert sein. Er bedarf psychosozialer, pflegerischer und intensiver medizinischer Begleitung.

An welchen Teil des Dickdarms, in seltenen Fällen des Dünndarms, er das Stoma anlegt, entscheidet nach eingehender Diagnose der behandelnde Arzt. Dabei spielen im Fall von querschnittgelähmten Menschen nicht allein medizinische Aspekte eine Rolle. Operateur, beziehungsweise Stomatherapeuten, sollten bei der Festlegung der Lage auch die Sitzposition ihres querschnittgelähmten Patienten im Rollstuhl beachten. Ebenfalls wichtig: Die „Bedienerfreundlichkeit“ des Stoma-Ausgangs. Über wie viel Handfunktion verfügt der Patient? An welcher Position kann er Stoma und Stomabeutel möglichst selbstständig versorgen?
Unbedingt Probetragen
Zudem raten Experten gerade Rollstuhlfahrenden dazu, vor dem endgültigen Eingriff einen Beutel in der geplanten Positionierung zu tragen. So können sie im Trockenversuch überprüfen, ob die Platzierung alltags- und rollstuhltauglich ist.
Wie wichtig der Austausch mit Experten und Betroffenen ist, zeigt auch eine Studie aus dem Jahr 2012. 91 querschnittgelähmte Menschen nahmen teil und beantworteten unter anderem Fragen nach den von ihnen genutzten Informationsquellen und den Personenkreisen, die sie bei der Entscheidung für oder gegen ein Stoma unterstützen.
Die meisten gaben an, bis zu vier Informationsquellen genutzt zu haben: Stomapflegekräfte (60%), auf Querschnitt spezialisierte Ärzte (43%), ihr Chirurg (38%). Mehr als die Hälfte aller Befragten wandten sich während ihrer Entscheidungsphase an andere querschnittgelähmte Stomaträger und diskutierte mit ihnen diese Option – was 84% als „hilfreich“ empfanden.
In diesem Zusammenhang erwähnenswert: Im Mittel lagen zwischen dem Auftreten größerer Darmproblematiken und der OP zehn Jahre – die Bandbreite reichte von 0,5 bis 40 Jahre. Über die Hälfte derer, die sich letztendlich für ein Stoma entschieden, bereuten in der Rückschau, dass sie diesen Eingriff nicht schon viel früher hatten durchführen lassen. 11 % von ihnen hätten eine Operation ein Jahr früher bevorzugt, 28% bis 5 Jahre früher, 30% bis 10 Jahre früher und 32% noch früher. Keiner fand in der Rückschau, dass er sich zu früh für das Stoma entschieden hatte.
Die „Deutsche ILCO e.V.“ (ein Kunstwort als Ileum und Colon) ist die größte deutsche Solidargemeinschaft von Stomaträgern, Menschen mit Darmkrebs sowie deren Angehörigen.
Begriffsbestimmung „Colostoma“
Ein künstlicher Darmausgang ist ein chirurgisch geschaffener Ausgang durch die Bauchdecke. Über ihn fließt der Stuhl in einen Beutel. Die medizinische Bezeichnung „Stoma“ leitet sich von Stóma (στόμα) ab, der griechischen Bezeichnung für Mund oder Öffnung. Das Platzieren eines Stomas wird als Colostomie bezeichnet. Es hat sich eingebürgert, jede Art von künstlichem Darmausgang als Colostoma zu bezeichnen, hergeleitet von „Colon“ = Dickdarm. Streng genommen gilt jedoch folgende Unterscheidung je nach Lage:
- Ileostoma = Dünndarmstoma/Anlage am Dünndarm (benannt nach dem Ileum, einem Teil des Dünndarms)
- Transversostoma = Dickdarmstoma / Anlage am quer verlaufenden Dickdarm (colon transversum)
- Descendostoma = Dickdarmstoma / Anlage am absteigenden Dickdarm (Colon descendens)
- Sigmoidostoma = Dickdarmstoma am Sigma (viertel Teil des Dickdarms)
Für weitere Informationen siehe Beitrag (Entero-)Stomaanlage – Operatives Vorgehen zum Darmmanagement
Rechte von Stomaträgern
Der Vorstand der Internationalen Stomavereinigung IOA hat eine „Charta der Rechte von Stomaträgern“ heraus. In der deutschen Fassung kann man sie auf den Seiten der „Deutsche ILCO e.V.“ ) nachlesen. Auf den Seiten finden sich zahlreiche Informationen zum Thema „Leben mit Stoma“ – siehe externer Link: ilco.de.
Besonderer Bedarf
Diese Charta zeigt „den besonderen Bedarf dieser speziellen Gruppe und die sich daraus ergebenden Anforderungen an ihre benötigte Versorgung auf“. Stomaträger müssten die Informationen und die Versorgung erhalten, die sie dazu befähigen, ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben zu führen. Und sie sollten an allen Entscheidungsprozessen mitwirken. „Es ist das erklärte Ziel der Internationalen Stomavereinigung, dass diese Charta in allen Ländern der Welt verwirklicht wird“, betont das Dokuments.
Die Charta nennt die wichtigsten Grundvoraussetzungen, damit künftige Stoma-Träger zufriedenstellend auf den Eingriff vorbereitet und anschließend versorgt werden können. Menschen mit Querschnittlähmung, die sich für diesen Eingriff entschieden haben, können die Charta als Memo und Anregung nutzen: Woher bekomme ich die relevantesten Informationen? Was sollte ich vorab klären? Mit welchen Personen aus meinen Behandlerkreis, aber auch aus meinem persönlichen Umfeld sollte ich sprechen?
Information und Beratung
Laut Charta ist es das Recht von Stomaträgern,
- vor der Operation beraten zu werden, damit gesichert werden kann, dass sie sich der Vorteile der Operation voll bewusst sind und die wesentlichen Fakten über das Leben mit einem Stoma kennen
- ein gut angelegtes, richtig platziertes Stoma zu erhalten, unter voller und angemessener Berücksichtigung des Wohlergehens des Patienten
- erfahrene und professionelle medizinische, pflegerische und psychosoziale Unterstützung vor und nach der Operation zu erhalten, sowohl im Krankenhaus als auch in ihrer Stadt oder Gemeinde
- die Unterstützung und Informationen zu erhalten, welche der Familie, Betreuern sowie Freunden helfen, mehr Verständnis für die Verfassung des Stomaträgers zu entwickeln und für seine Leistung zur Anpassung an die neue Situation, die nötig ist, um ein zufriedenstellendes Leben mit dem Stoma erreichen zu können
- vollständig und unparteiisch informiert zu werden über alle erforderlichen Stomaversorgungsartikel, die in ihrem Land verfügbar sind
- freien Zugang zu erhalten zu einer Vielfalt erschwinglicher Stomaversorgungsartikel
- informiert zu werden über ihre nationale Stomavereinigung und deren Angebote und Hilfestellungen
- geschützt zu werden gegen alle Formen von Diskriminierung
- sicher sein zu können,
- dass persönliche Daten hinsichtlich der Stomaoperation diskret und vertraulich behandelt werden, um die Privatsphäre zu schützen
- dass diese Informationen von niemandem weitergegeben werden an a) Personen oder Unternehmen, die in der Herstellung, im Verkauf oder der Abgabe von Stomaversorgungsartikeln oder ähnlichen Produkten tätig sind, noch an b) Personen oder Unternehmen, die wegen ihrer Verbindung zum kommerziellen Stomaartikelmarkt direkt oder indirekt von diesen Informationen profitieren können.
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Die genannten Produkte, Therapien oder Mittel stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und ersetzen in keinem Fall eine Beratung oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch medizinische Fachpersonen.
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