E-Rollis, Scooter, manuelle Rollstühle mit Zusatzantrieb: Diese Regelungen gelten im Verkehr

Menschen mit Querschnittlähmung, die mit einem in irgendeiner Form motorisierten Rollstuhl draußen unterwegs sind, stellt sich oft die Frage: Darf ich hier überhaupt fahren? Wo ist es erlaubt? Auf der Straße, auf dem Gehweg? Braucht mein Rollstuhl eine eigene Zulassung und eine eigene Versicherung? Torsten Zimmer, Experte von TÜV SÜD, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wo motorisierte Krankenfahrstühle mit welcher Geschwindigkeit unterwegs sein dürfen, ist genau geregelt.

Der-Querschnitt.de: Gelten für E-Rollstühle, Elektromobile (Scooter) und manuelle Rollstühle, sobald sie ein Zuggerät vorgeschaltet haben, dieselben Regeln?

Torsten Zimmer: Sowohl für elektrische Rollstühle, Elektromobile (Scooter) und manuelle Rollstühle mit Zuggerät gelten die gleichen Regeln. Neben den Anforderungen aus der Europäischen Verordnung für Medizinprodukte (2017/745/EU) müssen die einschlägigen Vorschriften aus dem Straßenverkehrsrecht eingehalten werden. In den Normen finden sich Anforderungen bzgl. mechanischer, elektrischer und funktionaler Sicherheit sowie Anforderungen bezogen auf die elektromagnetische und biologische Verträglichkeit.

Der-Querschnitt.de: Thema Sicherheit: Benötigen diese Geräte eine Straßenzulassung und eine eigene Versicherung?

Torsten Zimmer: Alle motorisierten Krankenfahrstühle, die auf öffentlichen Straßen betrieben werden, müssen die einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV), der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) und der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) erfüllen. Dieses gilt auch für motorisierte Krankenfahrstühle mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit bis 6 km/h.

Der-Querschnitt.de: Muss mich das als Nutzer oder Nutzerin eines entsprechenden Gerätes überhaupt interessieren – oder kann man davon ausgehen, dass in Deutschland ohnehin nur Geräte mit Straßenzulassung in Deutschland verkauft werden dürfen?

Torsten Zimmer: Bei einem Fachhändler ist in der Regel davon auszugehen, dass er sich mit den einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften auskennt und nur Produkte verkauft die sowohl die normativen Anforderungen als auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften erfüllen.

Der-Querschnitt.de: Andersherum gefragt: Kann ich in rechtliche Schwierigkeiten kommen, wenn ich mir ein preiswertes Modell aus dem Ausland besorge und damit in Deutschland herumfahre?

Handbikes mit E-Antrieb


Die normativen Anforderungen (mechanische, elektrische und funktionale Sicherheit sowie Anforderungen bezogen auf die elektromagnetische und biologische Verträglichkeit) gelten auch vollumfänglich für Handbikes mit E-Antrieb.

Anders verhält es sich bei den einschlägigen Vorschriften aus dem Straßenverkehrsrecht. Hier wird unterschieden zwischen „Restkraftunterstützendem System“ und Systemen mit vollständigem Elektroantrieb. Die Systeme mit vollständigen Elektroantrieb müssen auch alle Anforderungen wie ein Elektro-Rollstuhl erfüllen. „Restkraftunterstützende Systeme“, die bis zu einer Maximal-Geschwindigkeit von 6 km/h unterstützen, fallen nicht unter die einschlägigen Vorschriften aus dem Straßenverkehrsrecht. Wird die Unterstützung über die Geschwindigkeit von 6 km/h hinaus bereitgestellt, müssen ebenfalls die einschlägigen Vorschriften aus dem Straßenverkehrsrecht eingehalten werden.

Torsten Zimmer: Ja, insbesondere die Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV), die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) und die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) gelten nur in Deutschland. Siehe StVZO-Bußgeldkatalog.

Der-Querschnitt.de: Muss eines der oben genannten Geräte regelmäßig zum TÜV?

Torsten Zimmer: Nein, es sind nur die Wartungsintervalle der Hersteller zu beachten.

Der-Querschnitt.de: Ist für eine Form dieser motorisierten Krankenfahrstühle ein Führerschein nötig? – Oder ist dies abhängig von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit des jeweiligen Gefährts?

Torsten Zimmer: Wer auf öffentlichen Straßen einen Krankenfahrstuhl führt, bedarf keiner Fahrerlaubnis, wenn das Fahrzeug folgenden Kriterien entspricht:

  • Einsitzig
  • nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich behinderte Personen bestimmt
  • Elektroantrieb
  • Leermasse von nicht mehr als 300 kg einschließlich Batterien jedoch ohne Fahrer, zulässige Gesamtmasse von nicht mehr als 500 kg
  • bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h und einer Breite über alles von maximal 110 cm.
  • Ausnahme: Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen eines Krankenfahrstuhles hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen.

Der-Querschnitt.de: Welche der oben genannten Geräte darf auf dem Bürgersteig verwendet werden?

Torsten Zimmer: Krankenfahrstühle müssen die Fahrbahn benutzen; sie dürfen jedoch dort, wo Fußgängerverkehr zulässig ist, mit Schrittgeschwindigkeit fahren (siehe auch Erläuterung zu § 24 StVO).           

Um Missverständnissen vorzubeugen: Schiebe- und Greifreifenrollstühle sind keine Fahrzeuge im Sinne der StVZO, StVO und FZV. Diese müssen den Fußweg benutzen.

Der-Querschnitt.de: Welche Versicherungen braucht man – je nach Gerät, je nach zulässigem Geschwindigkeitslevel?

Torsten Zimmer: Der Halter eines Krankenfahrstuhles muss eine Haftpflichtversicherung abschließen, wenn der Krankenfahrstuhl auf öffentlichen Straßen und Plätzen verwendet wird. Der Unterschied besteht darin, dass Krankenfahrstühle mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit bis 6 km/h über die private Haftpflichtversicherung des Halters (Selbstversicherer/Eigenversicherer) versichert sind. Für Fahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit über 6 km/h muss der Halter eine Haftpflichtversicherung für den Krankenfahrstuhl abschließen und ein Versicherungskennzeichen anbringen. (Vergleichbar mit der Versicherung für Mofas oder Elektrotretroller.)

Der-Querschnitt.de: Thema Geschwindigkeit: Gibt es verschiedene Levels (6 km/h, 15 km/h, 25 km/h …), die Auswirkungen auf die Nutzung haben?

Torsten Zimmer: Die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h muss eingehalten werden, eine Staffelung unter 15km/h ist frei vom Hersteller wählbar.

Häufig werden Krankenfahrstühle mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit bis 6 km/h ausgeliefert, um die zusätzliche Haftpflichtversicherung und Versicherungskennzeichen-Pflicht zu vermeiden.

Die Redaktion bedankt sich herzlich bei Torsten Zimmer für die Beantwortung der Fragen!

Weiterführende Informationen zu motorisierten Krankenfahrstühlen u.a. in den Beiträgen Elektromobile für Menschen mit Querschnittlähmung sowie Motorroller für Rollstuhlfahrer.


Am 13.09.2024 stellte Leser Claus Herz zu diesem Thema folgende Frage: „Guten Tag! Kann man eine Zug-Hilfe für den Rollstuhl mit Betriebserlaubnis auch gebraucht kaufen?
Mit freundlichen Grüßen
Claus Herz

Anmerkung der Redaktion: Es gibt einige Hilfsmittelbörsen im Internet, bei denen man mit etwas Glück das passende gebrauchte Hilfsmittel finden kann. Der Beitrag Hilfsmittelbörsen im Netz – Der-Querschnitt.de nennt entsprechende Adresse und Links. Wir freuen uns auf weitere Tipps!


Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Unter keinen Umständen ersetzt er jedoch eine rechtliche oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch eine juristische Fachperson oder Menschen mit Qualifikationen in den entsprechenden Fachbereichen, z.B. Steuerrecht, Verwaltung. Der-Querschnitt.de führt keine Rechtsberatung durch. Ob und in welchem Umfang private Krankenkassen die Kosten für Hilfsmittel, Therapien o.ä. übernehmen, ist individuell in der jeweiligen Police geregelt. Allgemeingültige Aussagen können daher nicht getroffen werden.