Leben mit Querschnittlähmung: Gemeinschaft nach Rückenmarksinfarkt
Ein Rückenmarksinfarkt kann eine Ursache für Querschnittlähmung sein und kommt im Vergleich zu z. B. unfallbedingten Rückenmarksverletzungen eher selten vor. Entsprechend allein fühlen sich viele Betroffene. Dies erlebte so auch Karin Prock, die 2015 einen Rückenmarksinfarkt hatte und den Austausch mit Leuten vermisste, die ihre Erfahrungen teilen.

„In meinem privaten Umfeld habe ich es ja nie thematisiert – und in der Reha treffe ich zwar immer Menschen, die auch Funktionsstörungen haben, aber sie haben zu einem großen Teil ganz andere neurologische Erkrankungen, wie Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma. Das ist alles gar nicht vergleichbar. Wenn ich jemanden, der wie ich einen Rückenmarksinfarkt hatte, finden könnte, wäre ich sehr dankbar.‘ So Karin 2024 auf Der-Querschnitt.de (siehe: Leben mit Querschnittlähmung: Querschnittgelähmt nach Rückenmarksinfarkt).
Im Sommer 2025 ist klar, dass sie ganz und gar nicht allein dasteht mit ihren Erfahrungen. Fünf Frauen und die Ehefrau eines betroffenen Mannes haben sich bei ihr gemeldet, um sich über ihre Erfahrungen zum Leben nach einem Rückenmarksinfarkt auszutauschen.
Karin sagt: „Die Erfahrungen sind alle ähnlich. Der Schock, die Hilflosigkeit, das Sich-nicht-verstanden-Fühlen und vor allem die Nervenschmerzen.“
Die neuropathischen Schmerzen sind ein großes Problem für alle
Andere betroffene Frauen haben zusätzlich noch mit der Blasen- und Darmausscheidung, und natürlich mit dem Gehen. Sie tragen z.B. Beinorthesen, gehen mit dem Rollator oder sitzen fast nur im Rollstuhl.
Vor allem ihre chronisch-neuropathischen Nervenschmerzen und Missempfindungen, die sie 24 Stunden am Tag begleiten, belasten Karin sehr. Den Menschen, die den Kontakt mit ihr suchten, geht dies ebenso „Alle sind von neuropathischen Ausfällen betroffen und alle beschreiben sie ähnlich“, sagt Karin. „Nervenschmerzen, extreme Sensibilitätsstörungen und Missempfindungen bis in die Zehenspitzen, Gliedmaßen, die eigentlich innerviert sind, können nicht wahrgenommen werden. Oder da ist ein ständiges starkes Kribbeln bis Brennen, besonders in den Beinen und Füßen, während die Wirbelsäule und der Rücken sich anfühlen, als wären sie aus Eisen. Eine Frau sagte mir: ‚Ich frage mich, wie man bei diesem Terror im Körper nachts überhaupt schlafen können soll.‘ Und: ‚Ich habe mich notgedrungen daran gewöhnt, aber ich würde gerne mal wieder spüren, wie es wäre, absolute Stille im Körper zu fühlen.‘
Neuropathische Schmerzen und Missempfindungen begleitet Menschen mit Rückenmarksinfarkt (und sowohl kompletter als auch inkompletter Querschnittlähmung) oft ein Leben lang. Jeder muss eigenen Weg finden, wie er oder sie damit umgeht. Mir hat z. B. die Craniosakraltherapie geholfen, eine Freundin meditiert täglich und schreibt ein Buch. Kunsttherapie Malen, Musizieren, die Natur, eine ehrenamtliche Betätigung, z.B. in einer Peergruppe engagiert sein.
Nicht jede Methode wird für jeden gleich hilfreich sein. Das muss man für sich selbst austesten.“
Endlich werde ich verstanden!
„Natürlich bin ich nicht glücklich, dass es anderen auch so geht wie mir“, ergänzt Karin, „aber es ist ungemein tröstlich, zu wissen, dass ich nicht alleine bin mit meiner Situation. Alle – vor allem die Betroffenen mit erhaltener Gehfunktion – sagen das Gleiche. ‚Man sieht es uns nicht an.‘ Oder ihr Umfeld sagt ihnen ‚Ach, du bist eh gesund.‘ Und dann ist es einfacher so zu tun, als würde man zustimmen, anstatt darüber zu reden, was die Querschnittlähmung alles so mit sich bring. Dadurch, dass es den anderen auch so geht, fühle ich mich endlich besser verstanden. Das hilft mir sehr!“
Ansonsten war es in den vergangenen Monaten, eher Karin, die die Rolle der Helfenden einnahm. „Alle waren sehr froh, dass sie mal jemandem schreiben können, welche Beschwerden sie haben. Sie wollen gehört werden, ernst genommen werden. Das fehlt im Gesundheitssystem leider manchmal. Natürlich kann ich nicht explizit helfen. Ich kann nur davon sprechen, wie es mir ging, was mir geholfen hat, was meine Erfahrungen mit bestimmten Themen waren – und wenn da dann jemand was dabei findet, das hilfreich ist, dann ist das das Ziel.“ Sie lacht: „Und die Rückmeldungen sind positiv.“
Die Frage, ob diese Rolle nicht belastend sei, verneint Karin entschieden. „Ich bin jetzt so geerdet und in der Mitte, dass ich damit klarkomme, wenn die Frauen ihre ganz persönliche Krankheitsgeschichte und über ihre Probleme schreiben. Teilweise sind die Telefonnummern schon ausgetauscht, so besteht auch die Möglichkeit sich anzurufen, wenn das Bedürfnis vorhanden ist.
„Was mich tief berührt und beeindruckt, ist, dass trotz der körperlichen Einschränkungen wirklich alle nie aufgeben, weiterkämpfen, das Beste aus ihrer körperlichen Einschränkung machen und ihr Leben leben. Mit allen Höhen und Tiefen!“
Neue Freundschaften
Seit mehreren Monaten hat Karin auch Kontakt zu Sandra Seidenberg, einer 55-jährigen Betroffenen aus der Nähe von Augsburg, und freut sich in ihr eine neue Freundin gefunden zu haben. „Sandra war Mitte 50 als sie den Rückenmarksinfarkt hatte, so wie ich damals. Auch sie kann trotz Querschnittlähmung gehen. Und auch sie hat diese unerträglichen Missempfindungen in den unteren Gliedmaßen und im Brustkorb. Ihr hilft da die Meditation und Akupunktur. Durch sie habe ich den Impuls erhalten, es auch nochmal mit meditieren oder autogenem Training zu versuchen.“
Einen Besuch in Augsburg gab es schon und wer weiß, ob es einmal einen Gegenbesuch im Vorarlberg gibt. Denn Karins herzliche Gefühle beruhen auf Gegenseitigkeit. Sandra, deren Rückenmarksinfarkt im Juli 2024 noch kein Jahr zurückliegt, sagt: „Nach dem Rückenmarksinfarkt wollte ich so viel wie möglich über meine neue Situation erfahren. Ich war ständig auf der Seite Der-Querschnitt.de und habe gelesen und gelesen. Und dann, eines Tages, bin ich über den Beitrag über Karin gestolpert. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für ein Gefühl das war! Ich saß kerzengerade vor dem Bildschirm, äußerlich ganz ruhig aber innerlich ganz aufgewühlt, und ich dachte ‚Da ist jemand, dem es genauso geht wie mir! Jemand, der dasselbe erlebt hat! Der das gefühlt hat und das fühlt, was ich fühle!‘ Und dieser jemand suchte nach Austausch! So wie ich es mir ja auch gewünscht hatte.“
Sandra nahm Kontakt zu Karin auf und die beiden Frauen schrieben sich und telefonierten. „Ich versuche so einiges, um mit der Situation klarzukommen. Vor allem die chronischen Schmerzen, aber auch andere Aspekte der Querschnittlähmung, belasten mich stark und noch kann ich meinem Beruf nicht wieder nachgehen. Aber das möchte ich! Ich habe noch so einiges vor in meinem Leben. Alleine Karins Anwesenheit und ihre Unterstützung und ihr Verständnis sind da ein wichtiger Stein in dem Mosaik meiner Genesung. Und zu sehen, dass sie wieder wandern geht, hat mir große Hoffnung gegeben, denn das Wandern ist ein großes Hobby von mir.“
Über einen weiteren Aspekt, der ihr hilft, spricht Sandra im Beitrag: Leben mit Querschnittlähmung: Meditation kann ungemein hilfreich sein.
Die Beiträge, die in der Kategorie „Erfahrungen“ veröffentlicht werden, schildern ganz persönliche Strategien, Tipps und Erlebnisse von Menschen mit Querschnittlähmung. Sie stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider. Wer auch gerne auf Der-Querschnitt.de Erfahrungen teilen möchte, wendet sich bitte an die Redaktion. Siehe: Ihre Erfahrungen helfen anderen.
Der-Querschnitt.de Leser Bernd Fritz schrieb:
„Thema neuropathischen Schmerzen sind ein großes Problem für alle.
Ich leide an der spinalen Ischämie mit Querschnittslähmung erst seit Jahresanfang 2025 nach einer dritten Aorta-OP, leider auch mit absoluter Inkontinenz. Zwei Tage nach der OP begannen beide Beine taub und unbeweglich zu werden, aber auch mit den im genannten Artikel beschriebenen Kribbeln, Brennen, Zucken eines Beines etc.
Dieses habe ich vorerst als Hoffnung – unter dem Motto „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ – angenommen. Ich bin sehr froh darüber, dass ich nicht in eine tiefes Loch gefallen bin sondern ich diese Situation irgendwie von Anfang an angenommen habe. Ich habe auch überlegt, wie hast du das geschafft und bin zum Ergebnis gekommen, hör auf darüber nachzudenken, nimm es so wie es zzt. ist, so wie du es mit dem Tinnitus auch gemacht hast.
Auch meine Ehefrau hat es irgendwie angenommen, u. a. den Umzug in eine andere Wohnung organisiert und bewerkstelligt. Sie ist schon eine große Hilfe, obwohl sie selbst nicht gerade gut zu Fuß ist und nicht alles machen kann. Allein ihre Anwesenheit gibt mir Sicherheit. Tja, nun sitze ich im Rollstuhl und kann nicht ohne Begleitung die Wohnung verlassen. Um u.a. meine Ehefrau ein wenig zu entlasten und ohne Kraftanstrengung mal raus zu kommen (es geht hier bergauf), habe ich einen E-Rollstuhl bestellt. Mal sehen ob es damit klappt.“