Blasenfunktion bei Querschnittlähmung
Ist die Kontrolle der Blase durch eine Rückenmarksverletzung gestört, spricht man von einer Neurogenen Dysfunktion des unteren Harntraktes (bis 2020 auch: neurogene Blasenfunktionsstörung). Nahezu immer fällt in diesem Zusammenhang auch der Begriff des regelmäßig durchgeführten „Intermittierenden Katheterismus“ (ISK) genannt. Er gilt mittlerweile als Selbstverständlichkeit im Umgang mit Störungen der Blasenfunktion bei Querschnittlähmung.

Es gibt zwei Haupttypen einer gestörten Blasenfunktion bei Querschnittlähmung
Spastische Blase
Die spastische Blase kommt bei Verletzungen im Bereich der Hals- und Brustwirbel vor. Sie zieht sich unkontrolliert zusammen, was zu spontanen Ausscheidungen von Urin führt. Dieser „Reflex“ tritt erst auf, nachdem der spinale Schock abgeklungen ist, also etwa 3 Wochen bis 2 Monate nach einem Unfall bzw. der Verletzung bei einer traumatischen Querschnittlähmung. Die Meldung, dass die Blase voll ist, gelangt zwar noch zum Rückenmark, aber das Gehirn kann keinen Einfluss mehr auf die Funktion der Blase ausüben (UMNL).
Stattdessen wird die Meldung im Rückenmark als Reflex umgesetzt. Die Blase entleert sich dabei meist in einer Art „stopp and go“, weil sich der Schließmuskel immer wieder schließt. Dadurch kann ein Druck entstehen, der den Blasenmuskel verformt und die Ventile in der Blasenwand schädigt. Diese können dann nicht mehr verhindern, dass Urin zu den Nieren zurückfließt (Reflux). Der Druck, der dabei entsteht und Infektionen können die Nieren schädigen und im Extremfall zu Nierenversagen führen.
Schlaffe Blase
Die Muskeln der sogenannten schlaffen Blase ziehen sich nie zusammen, der Reflex bleibt aus. Betroffene müssen andere Formen der Blasenentleerung finden. Diese Störung der Blasenfunktion bei Querschnittlähmung besteht überwiegend bei Verletzungen der Lendenwirbelsäule. Die Nervenverbindungen zwischen Blase und dem für deren Steuerung zuständigen Miktionszentrum sind unterbrochen oder das Steuerzentrum selbst ist beeinträchtigt (LMNL).
Wird die Blase nicht regelmäßig entleert, entstehen mit hoher Wahrscheinlichkeit Blasenentzündungen. Die Blase kann etwa bis zu 500 Milliliter aufnehmen. Bei einer höheren Menge droht eine Überdehnungt, die Blase kann sich später nicht mehr zusammenziehen. Zudem können Infektionen mit dem Rückstau von Urin über die Harnleiter zu den Nieren gelangen und es kann zu fiebrigen Erkrankungen kommen. Sie können die Nieren schädigen und zu Nierenversagen führen. Die Entstehung von Nierensteinen kann auf eine ständig volle oder infizierte Blase hindeuten. Für beide Formen der Blasenstörung wird, sofern möglich, der Intermittierende Selbstkatheterismus empfohlen.
Inkomplette Blasenlähmung
Zu einer inkompletten Lähmung der Blase kann es kommen, wenn die Verletzung des Rückenmarks oberhalb des sacralen Miktionszentrums liegt. Dann kann die Blasenfunktion nicht mehr vollständig, aber noch teilweise willentlich beeinflusst werden. Mitunter ist es möglich, das Zusammenziehen der Blase (Kontraktion) bewusst zur Entleerung zu aktivieren. Allerdings ist das spontane Kontrahieren der Blasenmuskulatur und damit ein ungewolltes Ausscheiden von Urin kaum verlässlich zu vermeiden. Betroffene können auch den Blasenschließmuskel in vielen Fällen nicht bewusst steuern.
Auch bei dieser Form einer gestörten Blasenfunktion bei Querschnittlähmung ist es oft sinnvoll, ganz auf Intermittierenden Selbstkatherismus umzustellen, um zu hohen Druck in der Blase bei der Entleerung zu vermeiden. Für mehr Informationen siehe Beitrag Intermittierender Katheterismus: Standards und Hilfsmittel – Der-Querschnitt.de.
Für weiterführende Informationen zur Blasenfunktion, ihrer Störungen und ihrer Behandlung siehe auch die Leitlinie (externer Link): 179-001l_S2k_Neuro-urologische-Versorgung-querschnittgelaehmter-Patienten_2021-11.pdf
Dieser Text wurde mit größter Sorgfalt recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Die genannten Produkte, Therapien oder Mittel stellen keine Empfehlung der Redaktion dar und ersetzen in keinem Fall eine Beratung oder fachliche Prüfung des Einzelfalls durch medizinische Fachpersonen.
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Am 21.08.2013 kommentierte eine Leserin: „Gibt es nicht auch Geräte, die die Blase von außen stimulieren?“
Antwort der Redaktion vom 20.08.2013: „Bei der Entwicklung von Blasenentleerungstechniken muss immer berücksichtigt werden, dass ein erhöhter Blasendruck zu Druckschäden führen kann. Dies sollte unbedingt vermieden werden, um die Nierenfunktion langfristig nicht zu gefährden. Druckarme Methoden wie der Intermittierende (Selbst)katheterismus (ISK) haben sich daher, wo möglich, durchgesetzt.
Unter bestimmten Bedingungen kann die Stimulation über einen Reiz von außen dennoch geeignet sein. Bei der Reflexentleerung wird die Blase durch Beklopfen (Triggern) von außen stimuliert. Das Beklopfen sorgt für das reflexartige Zusammenziehen des Blasenmuskels und des äußeren Schließmuskels, der sich aber nach kurzer Zeit wieder öffnet und die Entleerung zulässt (siehe: Wenig, P./Burgdörfer, H.: Funktionales Verhaltensmuster „Ausscheidung“ – Blase. In: Haas, U. (Hrsg.): Pflege von Menschen mit Querschnittlähmung. Probleme, Bedürfnisse, Ressourcen und Interventionen, Bern, 2012). Dabei weisen die Autoren jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die Reflexentleerung der Blase nur dann zum Einsatz kommen sollte, wenn der komplikationsärmere intermittierende Katheterismus nicht möglich oder nicht gewünscht ist.
Andere Formen der Blasenstimulation sind zwar von außen steuerbar, aber es braucht zuvor die Implantation eines Stimulators unter die Haut und dessen Verbindung zu sakralen Nervenwurzeln:
Die sakrale Deafferentation (SDAF) wird bei überaktiver Reflexentleerung und erhaltener Elastizität und Kontraktionsfähigkeit der Blase angewandt, wenn konservative Methoden erfolglos bleiben. Die Durchtrennung der Nerven S2 bis S5 verhindert, dass sie den Füllstand der Blase melden und dadurch einen Impuls zur Entleerung senden. Stattdessen werden die durchtrennten Vorderwurzeln S2 bis S4 mit Elektroden verbunden, die von außen gezielt steuerbar sind. Das hat den Vorteil, dass es zwischen den regelmäßigen gewollten Entleerungen nicht zu Urinverlust kommt. Allerdings nehmen die Nerven S2 bis S5 auch Einfluss auf die Verdauung, den Intimbereich und bestimmte Sexualfunktionen, z. B. das Anfeuchten der Scheide. Diese Funktionen sind nach einer Durchtrennung nicht mehr verfügbar und der Eingriff ist nicht rückgängig zu machen. Deshalb bleibt für jeden Einzelfall gut abzuwägen, ob eine SDAF sinnvoll ist.
Bei der Neuromodulation durchtrennt der Chirurg die afferenten Nerven nicht. Sie sollen stattdessen über Elektroden stimuliert werden. Das setzt voraus, dass sie teilweise noch zur Impulsübertragung fähig sind (inkomplette Querschnittlähmung). Dieses Verfahren bietet sich sowohl bei einer Über- als auch bei einer Unterfunktion der Blasenaktivität an und kann auch die Darmtätigkeit günstig beeinflussen. Auch hier muss der Impulsgeber unter die Haut implantiert und dann mit einem mobilen Gerät von außen gesteuert werden.“