Die rollstuhlgerechte Campingausrüstung
Urlaub im Zelt ist für Menschen, die im Rollstuhl mobil sind, mitunter nicht die nächstliegende Möglichkeit der Freizeitgestaltung. Aber das Herz will, was das Herz will, und Campingurlaub kann – mit einigen Anpassungen – eine wahre Freude sein.

1. Zelt
Es gibt rollstuhlgerechte Wohnmobile und rollstuhlgerechte Tiny Houses. Sollte ein Zelt da nicht erst recht rollstuhlgerecht sein? Ausschlaggebend ist neben der Größe, die sich an den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Campers orientiert, die Befahrbarkeit des Zelts. D.h. bleibt man mit den Lenkrollen am Zelteingang hängen oder nicht? Beim Kauf eines Zeltes sollten Rollstuhlfahrer darauf achten, ob die ca. zehn Zentimeter hohe Planenkante am Zelteingang entfernt bzw. abgesenkt werden kann.
Ganz hartgesottene Naturfreunde verzichten evtl. ganz auf ein Zelt und greifen stattdessen zu einem Tarp. Tarps sind Zeltplanen ganz ohne Boden. Sie sind leichter und kostengünstiger als Zelte und sie sind deutlich haltbarer, weil es keine Reißverschlüsse und Stangen gibt, die kaputt gehen könnten. Zudem ist man im Zelt in Deutschland auf einen Campingplatz oder den eigenen Garten beschränkt, während man wegen einer gesetzlichen Grauzone mit einem Tarp, wenn man das den will, auch im Wald übernachten kann. Mit einem Tarp muss man sich über störende Zeltteile am Boden nicht sorgen, allerdings taugt es nur für sehr warme Sommertag, da es zwar Schutz vor Regen, aber nicht vor Wind, Kälte, Bodenfeuchtigkeit oder Tieren bietet.
2. Schlafausrüstung
Eine Isomatte auf dem Boden ist für Menschen mit Querschnittlähmung aus verschiedenen Gründen nicht die beste Wahl. Zum einen könnte je nach Lähmungshöhe, die Rollstuhl-Boden-Rollstuhltransfers erschwert sein (siehe auch: Vom Boden in den Rollstuhl), zum anderen kann es beim Liegen auf zu hartem oder unebenem Untergrund zu Druckstellen kommen.
Ein Feldbett oder eine Campingliege ist da schon eine bessere Wahl, allerdings sollten Menschen mit Querschnittlähmung darauf achten, dass sie einer gepolsterten Variante den Vorzug geben. Eine gepolsterte Auflage ist evtl. ebenfalls sinnvoll. Rollo (Video siehe unten) spricht sich aus Erfahrung für eine Karpfenliege aus, die ursprünglich in der Nacht beim Karpfenangeln als Ruhe- oder Schlafstätte verwendet wurde und sich durch eine dicke Polsterung auszeichnet. Auch kann man ein extra Sitzkissen verwenden, das beim Schlafen unter das Gesäß gelegt wird.
Bei der Wahl des Schlafsacks, gibt es auch das eine oder andere zu beachten, vor allem wenn man eine eingeschränkte Handfunktion hat. Kleine Reißverschlüsse können mit Schlüsselringen anwenderfreundlicher gemacht werden, oder man benutz gleich einen Quilt: Quilts sind aus den gleichen Materialien gefertigt wie Schlafsäcke, sie sind aber ab den Knien oder dem Gesäß zur Unterseite hin offen. Geschlossen werden sie mit einem Kordelzug (mit dem sie u. U. auch an der Isomatte festgemacht werden können, damit der Quilt beim Schlafen nicht verrutscht oder man sich in ihm verheddert.
Manche Camper mit Querschnittlähmung haben die Erfahrung gemacht, dass es eine ganz normale Bettdecke auch tut. Wenn man genug Platz hat, die Ausrüstung nicht weit tragen muss und keinerlei Nässe ins Zelt dringen kann, kann diese Alternative durchaus Sinn machen.
3. Der Ruf der Natur
- Ernährung und Darmmanagement beim Camping-Urlaub
Generell kann es bei manchen Menschen im Urlaub zu Verdauungsstörungen kommen (siehe hierzu: Warum im Urlaub die Verdauung verrücktspielen und was man dagegen tun kann). Häufig ist eine eingeschränkte Trinkmenge ein Grund, denn Flüssigkeitsmangel beeinflusst das Darmmanagement. Menschen mit Querschnittlähmung sollten, um einer Verstopfung vorzubeugen, die Trinkmenge im Urlaub keinesfalls reduzieren und bei hohen Außentemperaturen bestenfalls erhöhen. Für das Blasenmanagement gibt es kleine Hilfen , die auf dem Campingplatz für den einen oder anderen ganz nützlich sein könnten: Ich müsste mal für kleine Frösche – Der-Querschnitt.de und Urinierhilfen für Frauen mit Querschnittlähmung – Der-Querschnitt.de.
Auch kann es im Urlaub vorkommen, dass für das gewohnte Darmmanagement keine Zeit ist. Später kann es dann sein, dass der Darm beim Abführen einfach nicht mitmachen will, weil der gewohnte Rhythmus unterbrochen wurde. Reisetage und auch Ausflüge und Freizeitaktivitäten am Urlaubsort sollten daher auf Tage gelegt werden, an denen ein aktives Darmmanagement nicht eingeplant werden muss.
- Die Örtlichkeiten
Campingplätze, die Wert auf Barrierefreiheit legen, bieten i.d.R. Behindertentoiletten, in denen ausreichend Platz und relativer Abgeschiedenheit für das Darmmanagement gegeben sein sollte. Wen es hingegen ins wilde Outback zieht, der sollte einen Duschrollstuhl oder Hocker mitnehmen. Ausgerüstet mit einem Eimer und einem Sichtschutz, kann man seine Geschäfte dann in naturnaher Privatsphäre verrichten.
Reisejournalist Andreas Pröve hat das Toilettenproblem auf kreative Art und Weise gelöst: „In der Sitzfläche meines Reiserollstuhls ist ein Loch. D.h. wenn ich etwas „nicht mehr brauche“, dann fällt das einfach raus… Oder ich hänge eine Plastiktüte drunter…“ (Siehe auch: Andreas Pröve über das Weltenbummeln im Rollstuhl – Der-Querschnitt.de), Und Bernd Jost empfiehlt ein „Katzenklo“. Er entledigt sich seiner Ausscheidungen in einen mit Sand gefüllten Behälter. Der Sand im Auffangbereich bindet die Exkremente und Geruchsentwicklung ist minimal.
4. Weitere Ausrüstung
- Vorspannrad
Je nachdem wo es hingehen soll, kann die Ausrüstung durch einen geländegängigen Rollstuhl (siehe: Outdoor-Rollstühle) oder ein Vorspannrad ergänzt werden, das das Vorankommen auf unbefestigtem Untergrund gewährleistet. Zu einer Auswahl geht es hier: Das Vorspannrad. Ein fünftes Rad am Rollstuhl.
Je nachdem wo man campiert, kann es sein, dass ein Vorspannrad nicht ausreichend ist. Auf dem Campingplatz, auf dem es aufgrund von Regen ein bisschen matschig geworden ist, kommt man noch klar, aber wenn man sich fernab von Pfaden und Zivilisation in der Wildnis bewegt, sind Geländerollstühle u. U. die bessere Wahl. Siehe hierzu: Geländerollstühle für den Tripp ins Abenteuer.
- Reiseapotheke
Neben allem, was man für Blasen- und Darmmanagement braucht (gerne etwas mehr, falls etwas Ungeplantes geschehen sollte…), sollte man auf eine gut gefüllte Reiseapotheke achten. Siehe hierzu: Reiseapotheke bei Querschnittlähmung – Der-Querschnitt.de. Ein wichtiger Teil der Reiseapotheke kann bei einem Camping Tripp eine Kühlmöglichkeit (z. B. Coolpacks oder Kühlakkus) sein.
- Begleitung
Wenn man sich fernab von Campingplätzen auf unbefestigten Straßen in der Natur aufhalten möchte, sollte man diesen Tripp nicht alleine durchziehen. Vielleicht kommt es nicht dazu, dass man Hilfe benötigt, aber es ist gut zu wissen, dass sie da ist, wenn die Situation es erfordern sollte.
Was Rollstuhlnutzer über das barrierefreie Campen sagen
E-Rollstuhlfahrerin Sandra Heidemann, die gerne als Darstellerin auf Mittelaltermärkten unterwegs ist, warnt eindringlich davor, einfach auf dem Boden schlafen zu wollen: „Es ist ein Irrglaube, dass man locker in nur eine Decke gehüllt auf dem Boden schlafen kann und am nächsten Tag fit ist. Als wir das erste Mal ungeplant an einem Heerlager teilnahmen, hatte ich ja immerhin meinen Rollstuhl, der die Nässe und Kälte von unten abhielt. Aber meinem Mann (der inkomplett gelähmter Fußgänger ist), schlief auf der Erde, und ihm tat die Idee am nächsten Morgen schon leid. Die Kälte und die Feuchtigkeit kriechen nachts aus dem Boden und in die Knochen und man wird davon ganz steif. Inzwischen sind wir voll ausgerüstet. Mein Mann hat sogar ein Seilbett, das sich einfach auf- und abbauen lässt. Ein Feldbett würde es natürlich auch tun…“ Siehe auch: Im Rollstuhl ins Mittelalter – Der-Querschnitt.de
Tetraplegiker Andreas Winkel, der seit vielen Jahren Urlaub im Zelt macht, sagt: „Viele Rollstuhlfahrer denken, dass Zelten für sie nicht infrage kommt. Dabei spricht vieles dafür. Ein Zelt hat nie eine Stufe, da fallen viele Hindernisse im Vergleich zum Hotel schon mal weg. Im Hotel muss man klären, wie breit sind die Türen, gibt es Stufen, sind die Räume groß genug … Ein Zelt muss einfach nur groß sein. Gerade für Paras geht das dann locker. Zu zweit und mit der entsprechenden Ausstattung ist es auch für mich als Tetra kein Problem.“ Siehe auch: „Du sitzt vor deinem Zelt, guckst in die Landschaft und hast einfach Zeit“ – vom Zelten mit Handicap – Der-Querschnitt.de
Tetraplegiker Bernd Jost überspringt das Zelt und campt im Bus. Dort gibt es auf wenigen Quadratmetern ein Bett, ein Waschbecken, eine Dusche, eine Trockentoilette (funktioniert, wie ein Katzenklo für Menschen), einen Kühlschrank (wo eigentlich der Beifahrersitz sein sollte), eine Kochplatte und jede Menge Stauraum. Gekocht wird entweder im Bus. Oder außerhalb. „Wenn es hochsommerliche Temperaturen hat, willst du echt nicht im Bus kochen, weil es da drin dann nämlich sehr schnell sehr warm wird. Dafür hab ich eine Außenküche.“ Der Gaskocher für diese Außenküche befindet sich auf einer ausziehbaren Platte. Siehe auch: Leben mit Querschnittlähmung: „Wenn Schwierigkeiten auftreten, kann man sie lösen.“ – Der-Querschnitt.de
Rollstuhlfahrer Jens Conrad hat den Wunsch nach Barrierefreiem Campen mit einem Tiny House gelöst: Sein Wunschtraum war eine komfortable, mobile Unterkunft, in der er (relativ) spontan einen barrierefreien Urlaub am Ort seiner Wahl verbringen kann, ohne sich mit monatelangem Vorlauf auf eines der wenigen rollstuhlgerechten Domizile festlegen zu müssen. Siehe auch: 12 Quadratmeter Freiheit: Tiny-Haus für Menschen im Rollstuhl – Der-Querschnitt.de
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