Wechseljahre und Menopause bei Querschnittlähmung

In den Wechseljahren verändert sich der Körper querschnittgelähmter Frauen. Die Knochendichte kann deutlich abnehmen, die Haut wird empfindsamer, das Schlaganfall-Risiko wächst. Aber viele nehmen eventuell gar nicht wahr, dass sie in der Menopause sind, denn klassische Wechseljahr-Beschwerden „tarnen“ sich häufig als autonome Dysreflexie oder Blasenentzündung.

Wenn sich die Wechseljahre ankündigen, sollten Frauen mit Querschnittlähmung ganz besonders auf ihren Körper und seine Signale achten.

Wechseljahre und Menopause bei querschnittgelähmten Frauen sind kein besonderes intensiv erforschtes Gebiet der Humanmedizin, nur eine Handvoll Studien widmet sich diesem Thema. Dr. Sucheta Iyengar, britische Ärztin und Spezialistin für die Wechseljahre, hat in einem Fachvortrag die wichtigsten querschnittrelevanten Punkte vorgestellt und mit Erfahrungen aus ihrer jahrelangen Behandlungspraxis ergänzt. Einige der wichtigsten Aspekte haben wir im Folgenden zusammengefasst.

Sobald ein Mädchen zur Frau geworden ist, durchläuft ihr Körper vier Phasen, von den fruchtbaren Jahren bis ins Alter:

Vier Phasen im Leben einer Frau


  1. Prämenopause: gesamte fruchtbare Phase vor Beginn der Wechseljahre
  2. Perimenopause: Die Wechseljahre kündigen sich an. Die Eierstöcke produzieren immer weniger weibliche Hormone – der Östrogenspiegel sinkt. Zyklusschwankungen nehmen zu. Wechseljahr-Beschwerden werden häufiger
  3. Menopause: Der letzte Eisprung, die letzte von den Eierstöcken gesteuerte Monatsblutung. Der Zeitpunkt der Menopause kann nur in der Rückschau festgestellt werden: Bleibt die Regelblutung konstant 12 Monate aus, kann davon ausgegangen werden, dass die Menopause eingetreten ist
  4. Postmenopause: Sie beginnt mit der letzten Regelblutung. Wechseljahr-Beschwerden nehmen zu. Das Risiko langfristiger Beschwerden wie Osteoporose beginnt zu steigen

Wann welche dieser Phasen beginnt, ist von Frau zu Frau völlig unterschiedlich, und auch ihre Dauer ist sehr individuell. Betrachtet man die Gesamtbevölkerung, liegt das Durchschnittsalter, in dem die Menopause eintritt, laut Fachliteratur in der westlichen Welt bei etwa 51 Jahren. Ältere Studien deuteten noch daraufhin, dass Frauen mit Querschnittlähmung fast sieben Jahre früher ihre letzte Regelblutung haben und im statistischen Durchschnitt bereits mit 43,5 Jahren in die Menopause kommen. Neuere Studien bestätigen diese Zahlen nicht.

Ziel: Gesundes letztes Lebensdrittel­­­­­­­­­

Unabhängig davon, wann bei querschnittgelähmten Frauen der Zeitpunkt der Peri- oder Menopause gekommen ist: Irgendwann ist jede von ihnen mit den Wechseljahren und ihren Herausforderungen konfrontiert. Die Produktion der weiblichen Haupthormone Östrogen, Progesteron und Testosteron in den Eierstöcken nimmt ab. Ein Bluttest kann hier Klarheit schaffen, diese sind jedoch nach dem 45. Lebensjahr aufgrund der starken Schwankungen des Hormonspiegels in der Regel nicht mehr sinnvoll.

 „Früher war die Gesundheit nach der Menopause kein Problem. Denn Frauen kamen im Alter von ungefähr 45 Jahren in die Wechseljahre und bald darauf sind sie gestorben“, sagt die Wechseljahr-Spezialistin. „Heute ist das anders. Ein Drittel des Lebens liegt in der Postmenopause. Und da wollen die Frauen ein langes, gutes und gesundes Leben führen.“

Die Gesundheit in der späten oder nach-fruchtbaren Zeit sei sehr wichtig – aber gerade Frauen mit Querschnittlähmung würden häufig gar nicht wahrnehmen, dass sie in den Wechseljahren sind. Auch hier widerspricht sich die Studienlage: Einige Studien stellen keinen Unterschied in den Symptomen bei Frauen mit Querschnittlähmung fest, andere vermuten, dass das Level und/oder das Ausmaß der Verletzung zu mehr Schweißausbrüchen und einer Verschlechterung des Menstruationsmusters führen können. „Es gibt ungefähr 60 bis 70 mögliche Wechseljahr-Symptome. Nicht jede Frau bekommt sie, und keine Frau bekommt alle.“ 

Einige „klassische“ Symptome lassen sich relativ leicht als Wechseljahr-Beschwerden erkennen:

  • Hitzewallungen, nächtliche Schweißausbrüche
  • Ausbleiben der Monatsblutung
  • Schlafmangel, Unruhe, Herzklopfen
  • Gefühlsschwankungen, Gewichtszunahme, emotionale Labilität
  • Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen/Migräne, Angstzustände,
  • Verlust der Libido
  • Haut-/Haarschäden, Gelenkschmerzen
  • Vaginale/vulvale Symptome wie Trockenheit oder Schmerzen

Für ihren Vortrag wertete die Expertin zahlreiche Daten aus, „die darauf hinweisen, dass Frauen mit Querschnittlähmung seltener als andere Frauen ihren Arzt auf klassische Wechseljahr-Symptome ansprechen.“ Dafür sieht sie zwei mögliche Gründe: Hitzewallungen und nächtliche Schweißausbrüche könnten möglicherweise Frauen mit Querschnittlähmung weniger Probleme bereiten als anderen Frauen – weil sie an ähnliche Symptomatiken gewöhnt sind. Ein anderer möglicher Grund: Querschnittgelähmte Frauen fehlinterpretieren manche Beschwerden als Begleiterscheinung der Querschnittlähmung. Denn manche Symptome fühlen sich mitunter an wie die Folgen einer Rückenmarksverletzung, können jedoch ihre Ursache in den Wechseljahren haben:

  • Erhöhte Spastik
  • Stimmungsschwankungen
  • Depressionen und Schlafmangel
  • Blasenkrämpfe und Scheidentrockenheit
  • Trockene, brüchige Haut. Mögliche Folgen: Zunahme von Druckstellen und langsamere Wundheilung. Häufigere/neu auftretende autonome Dysreflexie

 „Eine autonome Dysreflexie kann sich genauso anfühlen wie Wechseljahr-Beschwerden. Spastik kann Symptome der Menopause imitieren. Scheidentrockenheit kann auftreten bis hin zu Symptomen, die denen einer Blasenentzündung ähneln“, zählt die Ärztin auf. 

Nehmen derartige Beschwerden zu, kann es sinnvoll sein, nach Ausschluss aller querschnittspezifischen Aspekte, auch das Thema Wechseljahre mit in die Diagnose und Behandlung miteinzubeziehen. Um einige Beispiele zu nennen: Ein Östrogenmangel im Vulva-, Vaginal- und Harnröhrenbereich kann zu wiederkehrenden Harnwegsinfektionen und Kontinenzproblemen führen. Beim Geschlechtsverkehr steigt aufgrund der vaginalen Trockenheit die Verletzungsgefahr, Verletzungen selbst können jedoch unbemerkt bleiben.

Selbstfürsorge

Das Ende der fruchtbaren Jahre sollte für Frauen mit Querschnittlähmung ohnehin eine Zeit sein, in der sie ihrem Körper besonders viel Aufmerksamkeit schenken. Drei konkrete Beispiele:

Gewichtskontrolle: In den Wechseljahren kommt es häufig zu einer Gewichtszunahme. Diese in den Griff zu bekommen, kann eine Herausforderung sein, insbesondere bei eingeschränkter körperlicher Aktivität und eingeschränktem Zugang zu Sportanlagen.

Hautpflege und Dekubitusprophylaxe sind für Menschen mit Querschnittlähmung ohnehin ein Muss. In den Wechseljahren nehmen die Elastizität und Belastbarkeit der Haut bei Frauen ab. Wenn sich die Menopause ankündigt, sollten sie ganz besonders auf ihre Haut achten und sie pflegen. (Siehe auch Beiträge Entstehung von Druckstellen (Dekubitus) bei Querschnittlähmung, Die Haut bei Querschnittlähmung sowie Hautkontrolle bei Querschnittlähmung)

Risiko für Schlaganfälle und Herzerkrankungen: Jüngere Frauen haben aufgrund ihres Östrogenspiegeln ein niedriges Risiko für Herzerkrankungen und Schlaganfälle.Werden sie älter, sinkt der Östrogenspiegel und das Risiko steigt. Bei Frauen mit Querschnittlähmung kann dieser Prozess aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität und geringer aerober Aktivität (z.B. Ausdauer- oder Cardiotraining, siehe auch Beitrag Aerobes Oberkörper-Training: Positive Auswirkungen auf Insulinsensitivität) relativ früh beginnen. Eine Umstellung der Lebensführung (gesunde Ernährung, Bewegung) kann hier eventuell gegensteuern. (Siehe auch Beitrag Thrombose bei Querschnittlähmung: Entstehung, Risikofaktoren, Prophylaxe sowie Herzgesundheit bei Querschnittlähmung.)

Osteoporose ist eine der häufigste Folgeerkrankungen einer Querschnittlähmung, häufig ganz unabhängig vom Alter der Betroffenen (siehe auch Beitrag Osteoporose bei Querschnittlähmung). Betroffen sind vor allem die Knochen unterhalb der Lähmungshöhe, die nicht belastet werden (Hüfte, Oberschenkel).

Menopausenbedingter Östrogenmangel kann den Knochenschwund beschleunigen, die Wahrscheinlichkeit von Knochenbrüchen steigt.

Änderung des Lebensstils

Die Behandlung von Wechseljahr-Beschwerden beginnt, so Dr. Iyengar, bei Frauen mit und ohne Querschnittlähmung mit einer Änderung des Lebensstils, eventuell verbunden mit einer Gewichtsabnahme. „Sie müssen nicht auf alles verzichten, was Spaß macht. Aber ein Rauchstopp, wenig Alkohol, wenig Koffein, dafür regelmäßiger Sport kann helfen.“

In Absprache mit dem behandelnden Arzt können auch Kalzium und Vitamin D-Gaben (für die Knochen) eine Option sein. Oder, unter sorgfältigster Abwägung der Pros und Contras, eine Hormonersatztherapie, die nach Dr. Iyengars Erfahrung vor allem in relativ jungen Jahren hilft, den Knochenschund und andere Begleiterscheinungen der Wechseljahre zu mildern. Querschnittspezifische Daten fehlen hierzu jedoch – welche medikamentösen Optionen für die einzelne Frau die richtigen sind, kann nur im intensiven Arztkontakt geklärt werden.

Therapiemöglichkeiten

Therapien und nicht-hormonelle Präparate können Frauen helfen, die Wechseljahre besser zu durchleben (falls sie überhaupt Komplikationen haben). Dr. Iyengar nennt einige Beispiele:

Hormonersatztherapie

Östrogen, das über die Haut mit Hilfe eines Gels oder Pflasters aufgenommen wird, ist laut Dr. Iyengar körperidentisch und erhöht nicht das Risiko von Blutgerinnseln. Es könne bei den meisten Wechseljahr-Beschwerden helfen. Frauen mit einer Gebärmutter benötigen mitunter Progesteron in Form einer Tablette; dies verhindere eine abnormale Verdickung der Gebärmutterschleimhaut. Diese Kombination kann vom Arzt je nach Alter der Frau und dem Stand ihres Menstruationszyklus verschrieben werden.

Um bei Vaginal-/Vulva-/Urinsymptomen zu helfen, benötigen Frauen oft zusätzliches vaginales Östrogen in Form eines Pessars oder einer Creme. Die Herausforderung besteht darin, wie eine Frau mit eingeschränkter Beweglichkeit im Oberkörper dies nutzen kann, so Dr. Iyengar.

Menopause-Spezialistin

Dr. Iyengar ist Gynäkologin. Seit 2018 ist sie von der British Menopause Society als Menopause-Spezialistin anerkannt. Ihr Vortrag wurde in stark gekürzter Form auf Der-Querschnitt.de wiedergegeben. Der gesamte Vortrag (auf Englisch) ist online verfügbar:

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Ihr Vortrag gehört zu einer Vortragsreihe, die von der britischen Anwaltskanzlei Bolt Burdon Kemp initiiert wurde. Die Kanzlei ist auf Schadensersatzansprüche wegen schwerer Verletzungen spezialisiert.

Die Vortragsreihe trägt den Titel „Menstruation to Menopause – A Spinal Cord Injury (SCI) Woman’s Journey Round up“ und kann hier abgerufen werden (externer Link): Menstruation to Menopause – A Spinal Cord Injury (SCI) Woman’s Journey Round up | Bolt Burdon Kemp